Autor Thema: In Memoriam - Amanda Todd  (Gelesen 6058 mal)

Joe Cool

  • Gast
In Memoriam - Amanda Todd
« am: 26. Okt. 2012, 10:15:57 »
Seit Tagen geht das Video nun schon durchs Internet. Auf Schwarz-Weiß Aufnahmen sieht man, undeutlich, ein Mädchen, das Zettel in die Kamera hält. Darauf steht: „I have nobody. I need someone“ Ich habe niemanden. Ich brauche jemanden.
Ihr habt es vielleicht schon in den Nachrichten gesehen, das Abschiedsvideo von Amanda Todd, einem 15 jährigen Mädchen aus der westkanadischen Stadt Vancouver. Vor etwa zwei Wochen beging sie Selbstmord, weil sie das Mobbing gegen sich nicht mehr aushielt. In dem Film hält sie fast neun Minuten lang Karteikarten in die Kamera, auf denen sie ihre traurige Geschichte erzählt. Was war passiert?
In der siebten Klasse fängt sie an, im Internet zu chatten. Nur aus Spaß. Im Chat trifft sie Männer, die ihr Komplimente machen. Einer bittet sie um ein Foto ihrer nackten Brüste. Todd, jung und naiv, mailt es ihm. Er schickt es an ihre ganze Schule und lädt es bei Facebook hoch. „Ich kann das Foto nie zurückholen. Es wird immer irgendwo da draußen sein“, stellt Todd fest. Ihre Mitschüler fangen an, sie zu hänseln. „Ich habe jede Nacht geweint und alle Freunde verloren.“ Sie beginnt noch einmal eine Beziehung mit einem Jungen. „Ich dachte er mag mich.“ Aber nachdem die beiden Sex hatten, entscheidet er sich für seine ehemalige Freundin und lässt sie fallen.
Die Angriffe ihrer Mitschüler werden immer schlimmer, schließlich sogar gewalttätig. Vor ihrer Schule wird Amanda von der wütenden Freundin verprügelt, fünfzehn Schüler feuern sie dabei an. Todd bekommt Panikattacken und Depressionen. Sie beginnt, sich die Arme zu „ritzen“, flüchtet in Alkohol und Drogen. Mehrmals wechselt sie die Schule, aber ihre Vergangenheit im Internet holt sie immer wieder ein. „Ich wollte nur noch sterben.“ Schließlich trinkt sie Bleichmittel, aber ihr wird der Magen ausgepumpt und sie überlebt schwer verletzt. Ihre Eltern versuchen es noch mal mit einem Umzug, aber die Hassmails folgen ihr. „Sie sollte ein anderes Bleichmittel versuchen, dann stirbt sie hoffentlich!“ schreibt einer. Ein zweiter Selbstmordversuch am 10.Oktober gelingt. Die kanadische Polizei will nun den Erpresser von Amanda Todd ausfindig machen und ermittelt.
Die Hackergruppe Anonymous will da bereits weiter sein und veröffentlichte den Namen eines Verdächtigen sowie viele andere persönliche Details wie Adresse, E-Mail und Telefonnummer.Die Gruppe wandte sich in einem Online-Video zudem direkt an Todds Peiniger: "Wir werden nicht vergeben, wir werden nicht vergessen", heißt es darin. "Wir beobachten Dich. Wir wissen, was Du getan hast und wir sind immer da."
Der junge Mann, dessen Name im Internet kursiert und dessen Facebook-Seite mittlerweile gelöscht wurde, bestreitet jedoch, Todd gemobbt zu haben. Er habe vielmehr Amanda helfen wollen, nachdem er ihr Video im Internet gesehen hat, als sie noch lebte. Er wollte den Erpresser ausfindig machen, der angeblich in New York lebe. Kanadische Medien berichten, dass der Mann einer ähnlichen Hetzjagd ausgesetzt sei wie Amanda Todd vor ihrem Tod.

So weit die Geschichte der Amanda Todd. Sie könnte hier zu Ende sein, ist es aber nicht – denn das Internet vergisst nichts. Nach wie vor sind die Hass-Seiten online, mit Amandas Foto und unzähligen Schmähungen und übelsten Beleidigungen. Ich möchte mich hier schon für die Wortwahl entschuldigen. Die Kommentare sind alle aus dem Internet.
Beispiele: „I don’t always post Tits to random guys. But when I do, I cry and drink Bleach.”
Zu Deutsch: Ich schicke nicht ständig Fotos meiner Titten an Zufallsbekanntschaften. Aber wenn ich das tue, dann heule ich rum und trinke Bleichmittel.
Oder: „What’s my favorite Drink? Bleach.” Zu Deutsch: Was trinke ich am liebsten? Bleichmittel! Oder: „Flash my Boops and get called a slut? Better get my ‘Clorox’!” Zu Deutsch: Ich zeige meine Möpse und werde ‘Schlampe’ genannt? Dann nehme ich doch besser mein ‚Clorox’* (Anm. ‚Clorox’ ist der Markenname eines Bleichmittels)
Auch auf Deutsch gibt es die Beleidigungen: Vor lauter Wixxe nicht atmen können – Falsches Mittel zur Reinigung genommen! Oder: „Kills herself over getting bullied for being a whore – still gets bullied for being a whore.” Zu Deutsch etwa: Bringt sich um weil sie als Hure gemobbt wurde – Bleibt aber eine gemobbte Hure!“
Manche Seiten zeigen Fotomontagen mit Amandas Gesicht im Stil einer Werbeanzeige: „Hi! Amanda Todd here, with a spezial ‚Clorox’ Offer!“ Zu Deutsch: Hallo! Hier ist Amanda Todd mit einem besonderen ‘Clorox’-Angebot!”
Andere zeigen eine Karikatur mit der Comic-Figur “Spiderman” in einem leeren Büro und der Bildunterschrift: „Everyone is out having Fun and drinking Bleach. And I’m just sitting here … alive“ Zu Deutsch: Alle sind unterwegs und haben Spaß und trinken Bleichmittel. Und ich sitze hier … lebend. Dafür muss man schon einen kranken Humor haben.
Es gibt, leider, noch viele weitere Beispiele. Auch ihr Nacktfoto, Auslöser der ganzen Tragödie, findet sich nach wie vor, auf vielen Webseiten.

Man könnte natürlich sagen: Schön blöd! Wer zieht sich denn auch im Internet aus und verschickt seine Nacktbilder an wildfremde Menschen (außer professionelle Erotikmodels)? Sicher – das war nicht Amandas cleverste Entscheidung. Aber sie war erst fünfzehn! Nicht umsonst sind Minderjährige nicht geschäftsfähig und/oder nicht strafmündig!
Diese Häme und Pöbelei hat niemand verdient- erst recht kein fünfzehnjähriges Mädchen, das sich aus Scham, Verzweiflung und Einsamkeit umgebracht hat …