Autor Thema: Isabel Abedi - Isola  (Gelesen 20418 mal)

Helluo Librorum

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Isabel Abedi - Isola
« am: 14. Jun. 2012, 13:50:56 »
Helluo Librorum präsentiert aus der Reihe "Bücher, die man gelesen haben muss":

Isabel Abedi - Isola


Genre: Jugendbuch / Thriller
Seiten: 324
Verlag: Arena
ISBN-10: 3401060481
ISBN-13: 978-3401060484

Zitate

"Ich hätte weglaufen können. Noch heute spukt dieser Gedanke oft durch meinen Kopf. Ich hätte mich heimlich von der Gruppe entfernen können, genügend Gelegenheiten hätte es gegeben. Aber hätte das etwas geändert? Wäre das Projekt abgebrochen worden? Wäre vielleicht kein Blut geflossen? Es ist so sinnlos, sich diese Fragen zu stellen, mein Verstand weiß das. Aber die Fragen wissen es nicht. Sie kommen - ohne vorher anzuklopfen und sich zu erkundigen, ob es gerade passt." (Zitat aus dem Buch)

"Vielleicht ist es mit der Liebe so wie mit der Musik, man kann sie nicht erklären, sie trifft einen wortlos - mitten ins Herz." (Zitat aus dem Buch)

Autorin & Buch (Allgemeines)

„Isola“ ist eine äußerst gelungene Mischung aus Psycho-Thriller und Kriminalroman, die zwar offiziell als Jugendbuch deklariert ist, jedoch sehr wohl auch von Erwachsenen gelesen und genossen werden kann. Als kleine Geschichte in der Geschichte ist auch eine jugendgerechte Liebesbeziehung mit eingeflochten.

Meiner Meinung nach kann man das Buch ab einem Alter von etwa 13 Jahren empfehlen. Da das Buch aber alles andere als harmlos anmutet, sollten sich Eltern besser vorher überlegen, ob sie es ihrem Kind zum Lesen geben wollen.

Leider gibt es viel zu wenige Jugendbücher dieser Art.  :(

Handlung

Zusammenfassung Teil 1 (Frei von Spoilern - Es wird nichts Wichtiges verraten!)

Der bekannte deutsche Regisseur Quint Tempelhoff sucht in einem Casting nach 12 Jugendlichen, die an seinem neuen Filmprojekt teilnehmen möchten. Auf einer einsamen Insel vor Rio de Janeiro sollen sie gefilmt werden. Aus den Aufnahmen soll dann sein neuester Film entstehen, mit dem Tempelhoff sich erhofft, wieder an seine alten Erfolge anknüpfen zu können.

Für 21 Tage sollen die Jugendlichen auf der Insel leben und dabei von unzähligen versteckten Kameras beobachtet werden, die sie nahezu auf Schritt und Tritt verfolgen – Tag und Nacht, rund um die Uhr. Die Aufnahmen werden vom Produzenten und dem Regisseur überwacht. Lediglich in den Duschen, Toiletten und Umkleideräumen sind keine Kameras installiert.

Es gibt kein Drehbuch, dass den Jugendlichen vorschreibt, was sie zu sagen oder zu tun haben. Auch sonst gibt es keinerlei Anweisungen der Regie und des Produktionsteams, die auf einer benachbarten Insel ihre Zelte aufgeschlagen haben. Sie selbst bestimmen die Handlung des späteren Films. Jedoch wird von ihnen verlangt, sich einen fiktiven Namen auszudenken, unter dem sie an diesem Projekt teilnehmen. Die einzigen Vorgaben sind, dass Alkohol, Drogen und Sex verboten sind.

Jeder Teilnehmer darf nur drei persönliche Gegenstände mit auf die Insel nehmen. Dabei ist es interessant zu lesen, für was sich die Jugendlichen entscheiden, was ihnen für die Zeit bei diesem außergewöhnlichen Projekt gleichermaßen wichtig wie unverzichtbar erscheint.

Ein Handy darf jedoch nicht mitgenommen werden, es soll für die Jugendlichen keine Möglichkeit geben, Kontakt zur Außenwelt aufzunehmen. Für alle weiteren wichtigen Sachen des Alltags, wie z.B. Lebensmittel und Hygieneartikel, wird vom Produktionsteam gesorgt.

Zu Beginn mutet ihr Aufenthalt auf der Insel noch wie ein traumhafter Urlaub am paradiesischen Strand an. Sie freuen sich über drei Wochen in dieser herrlichen Umgebung und dass sie dafür sogar Geld gezahlt bekommen, setzt dem Ganzen noch die Krone auf.

Doch nur das alltägliche Leben der Teilnehmer zu verfolgen, wäre natürlich viel zu langweilig für einen Film. Daher hat sich der Regisseur etwas Besonderes ausgedacht. Als einer der Jugendlichen nach ein paar Tagen 12 Umschläge und eine Anleitung findet, wird ihnen allen schnell klar, um was es hierbei wirklich geht: Sie befinden sich mitten in einem makabren Spiel!

Zusammenfassung Teil 2

(Achtung, Spoiler! Wer sich den Lesespaß nicht verderben möchte, sollte diesen farblich markierten Teil besser komplett überlesen!)

In den Umschlägen, von denen nacheinander jeder Teilnehmer einen ziehen muss, befindet sich jeweils eine Karte. Auf dieser steht bloß ein Wort: „Opfer“ oder „Mörder“. Diese Rolle muss der Jugendliche dann fortan in dem Spiel einnehmen. Es gibt jedoch nur einen Mörder. Dessen Aufgabe ist es, nacheinander möglichst viele Opfer zu „ermorden“. Dies hat er geschafft, indem er das Opfer seiner Wahl von allen anderen unbemerkt an dessen Handgelenk fasst und sie in ein nur dem Mörder und dem Filmteam bekanntes Versteck bringt. Damit ist das Opfer aus dem Spiel ausgeschieden und wird schon bald dort abgeholt und von der Insel gebracht. Der Mörder darf jedoch weder enttarnt werden, noch sich selbst verraten. Und er darf unter gar keinen Umständen Gewalt anwenden, um seine Aufgabe zu erfüllen.

Die Gruppe ist größtenteils nur wenig bis gar nicht begeistert über dieses Spiel. Doch da eine Verweigerung dessen zur Folge hätte, dass das Projekt für die jeweilige Person beendet wäre und er die Kosten seines Rückflugs in die Heimat selbst zu zahlen hätte, stimmen alle mehr oder weniger widerwillig der Teilnahme zu.

Die Jugendlichen beginnen sich unwohl zu fühlen. Niemand von ihnen möchte das nächste Opfer sein und somit die Insel vorzeitig verlassen müssen. Man sieht in den anderen plötzlich den potentiellen Mörder und hofft, dass es nicht ausgerechnet jemand ist, mit dem man sich sehr gut versteht.

Als plötzlich ein echter Mord geschieht und aus dem Spiel somit tödlicher Ernst wird, eskaliert die Situation zunehmend. Und es bleibt nicht der letzte Mord. Es wird verzweifelt versucht, Kontakt zu dem Produzenten und dem Regisseur auf der anderen Insel aufzunehmen, aber diese sind einfach nicht erreichbar. Wie sich herausstellt, sind auch sie beide ermordet worden. Die Jugendlichen haben Todesangst, denn eines scheint ihnen nur zu klar zu sein: Jemand von ihnen muss der Mörder sein! Ab sofort kann man niemandem mehr trauen außer sich selbst. Können sie es lebend von der Insel schaffen?


Charaktere

Isabel Abedi hat mit den jugendlichen Teilnehmern zwölf lebendige Charaktere erschaffen, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten. Jeder hat seine eigene interessante Persönlichkeit und gerade aufgrund ihrer Verschiedenheit ist es äußerst interessant zu lesen, wie sie unter diesen Rahmenbedingungen miteinander auskommen. Es hat mir große Freude bereitet, die Charaktere nach und nach besser kennenzulernen. Bei manchen hätte man sich sogar gewünscht, sie noch intensiver kennenlernen zu dürfen. Da die Autorin so verschiedene Charaktere erschaffen hat, sollte auch für jeden Leser jemand dabei sein, mit dem er sich leicht anfreunden oder gar identifizieren kann. In solch einer großen und illustren Runde finde ich es zudem auch immer eine besonders interessante Frage, wer das Sagen hat und bei wem es nur zum Mitläufer reicht.

Vera, die im realen Leben eigentlich Joy heißt, ist die Hauptperson in diesem Buch, nicht nur, weil sie dessen Erzählerin ist, sondern weil sie auch die wichtigste persönliche Geschichte zu bieten hat. Joy ist in den Favelas, den Slums von Rio de Janeiro, wo die Insel liegt, geboren wurden. Dann wurde sie adoptiert und ist fortan in Deutschland aufgewachsen. Nun führt sie ihr Weg zurück in die Heimat, die sie bisher nie kennengelernt hat. Das ist der einzige Grund, warum Joy daran überhaupt teilnimmt. Denn während der Zeit auf der Insel wird sie volljährig und möchte sich im Anschluss daran auf die Suche nach ihrer Schwester Esperanza machen. Deren Foto ist einer der drei Gegenstände, die Joy mit auf die Insel genommen hat. Sie ist ein sehr stilles Mädchen und hat auch auf Aufforderung nur selten etwas zu sagen. Joy ist sehr nachdenklich und schüchtern, kommt nur aus sich selbst heraus, wenn sie ihrem liebsten Hobby, dem Tanzen, nachgeht. Sie erzählt die Geschichte rückblickend und offenbart dem Leser gleich zu Beginn, dass auf der Insel etwas furchtbares passiert ist, ohne dabei zu viel zu verraten.

Atmosphäre & Schreibstil

Die Geschichte ist von Beginn an spannend und steigert sich stetig. Als mit dem Spiel das neue, entscheidende Element hinzukommt, steigert sich die Spannung sogar ins schier Unermessliche. Dank vieler überraschenden Wendungen und geschickt gelegter falscher Fährten bleibt die Spannung auch bis zum Ende des Buches erhalten. Da es nur wenige Bücher gibt, über die man in dieser Hinsicht derart positiv sprechen kann, gelingt es einem auch nur sehr schwer, das Buch nicht in einem Rutsch durchzulesen.

Isabel Abedi verwirrt ihre Leser bewusst immer wieder mit neuen Informationen, die dann aber doch meistens in die Irre führen. Immer dann, wenn man der Meinung ist, dass man endlich den vollen Durchblick hat, muss man sehr schnell feststellen, dass dem eben nicht so ist. Denn dann passiert irgendetwas, was alle vorangegangenen Theorien wieder komplett über den Haufen wirft. Somit kann man sich zu keinem Zeitpunkt wirklich sicher sein, was als nächstes passiert. Erst am Ende lösen sich alle Fragezeichen in Luft auf und es entsteht ein logisches Gesamtbild.

In den meisten Krimis weiß der geübte Leser leider zu nur schnell, wer der Täter ist. Das ist bei „Isola“ dankenswerterweise völlig anders. Vielleicht sollten Sie beim Lesen mal Stift und Zettel auf den Tisch legen und zwischendurch aufschreiben, wen sie nach und nach alles im Verdacht haben, der Mörder zu sein. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie über die Länge dieser Liste am Ende ziemlich erstaunt sein werden.
 
Erzählerin der Geschichte ist mit Vera eine der Teilnehmerinnen. Dadurch wissen wir zu keinem Zeitpunkt mehr als sie selbst und können uns wunderbar in die Geschehnisse auf der Insel und die Gefühlswelt der Jugendlichen hineinversetzen. Zwischendurch werden jedoch hin und wieder ein paar kursiv geschriebene Sätze eingestreut, in der eine andere Person erzählt. Dessen Identität bleibt vorerst unerkannt und man erfährt erst zum Ende des Buches hin, um wen es sich dabei handelt und welche Rolle diese Person in dem Spiel inne hat.

Nicht nur durch die von mir bereits angesprochene Einsetzung Veras als Erzählerin der Geschichte hat man unweigerlich das Gefühl, alles selbst zu erleben, sondern auch durch die bildhafte Beschreibung der paradiesischen Umgebung. Dies alles sorgt für wundervolles Kopfkino und man könnte sich durchaus zwischendurch so fühlen, als würde man selbst unter Beobachtung der vielen versteckten Kameras stehen.

Isabel Abedi schreibt zwar passenderweise in einer jugendgerechten Sprache, übertreibt es dabei aber keinesfalls. Somit ist auch dies für Erwachsene kein Negativpunkt. Zudem verfasst sie ihre Sätze sehr flüssig, hält sich kurz und knapp, anstatt ausufernde Satzkonstrukte zu bilden. Sie bedient sich einer wundervollen Sprache und bleibt trotz aller Spannung auch einfühlsam und bietet ein breites Spektrum an Emotionen.

Nachbemerkungen

Im Zeitalter von „Big Brother“ und ähnlichen TV-Formaten greift Isabel Abedi ein immer noch aktuelles Thema auf.

Was bei solchen Experimenten passieren kann, kennt man bereits von Filmen wie „Die Welle“ (nach dem Buch von Morton Rhue) und „Das Experiment“.

Man muss sich beim Lesen durchaus die Frage stellen, wie man sich selbst in dieser Situation verhalten hätte?

Hinweis

Rechtschreibung und Grammatik wie immer ohne Gewähr!  ;)
« Letzte Änderung: 14. Jun. 2012, 14:05:56 von Helluo Librorum »
"Wenn zwei Menschen immer der gleichen Meinung sind, dann ist einer von ihnen überflüssig." Winston Churchill