Autor Thema: Ursula Poznanski - Erebos  (Gelesen 6922 mal)

Helluo Librorum

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Ursula Poznanski - Erebos
« am: 07. Jun. 2012, 19:35:11 »

Helluo Librorum präsentiert aus der Reihe "Bücher, die man gelesen haben muss":

Ursula Poznanski - Erebos


Genre: Thriller / Fantasy
Seiten: 485
Verlag: Loewe
ISBN-10: 3785569572
ISBN-13: 978-3785569573

Zitate

"Mit jedem neuen Tag verliert meine Realität an Wert. Sie ist laut und ohne Ordnung, unvorhersehbar und mühevoll. Was kann sie denn, die Realität? Hungrig machen, durstig, unzufrieden. Sie verursacht Schmerzen, sie schlägt mit Krankheit um sich, sie gehorcht lächerlichen Gesetzen. Vor allem aber ist sie endlich. Immer führt sie zum Tod." (Zitat aus dem Buch)

„Ich entziehe der Realität meine Zustimmung. Ich verweigere ihr meine Mithilfe. Ich verschreibe mich den Verlockungen der Weltenflucht und stürze mich mit ganzen Herzen in die Unendlichkeit des Irrealen." (Zitat aus dem Buch)

Autorin & Buch (Allgemeines)

„Erebos“ ist ein Jugendbuch mit Thriller-, Fantasy- und leichten Science-Fiction-Elementen, dass auch massenweise Erwachsene zu begeistern vermag – welch besseres Lob könnte man der Autorin machen? Tatsächlich ist es in meinen Augen besser als ca. 98% der „Erwachsenen-Literatur“. Mir ist noch nie zuvor ein Buch untergekommen, bei dem sich die Rezenzenten, egal ob Jung oder Alt, derart einig in ihren geradezu überschäumenden Lobeshymnen sind. Neben „Erebos“ gibt es wahrlich nicht viele Bücher, die nicht nur oft bewertet wurden, sondern auch noch fast immer die bestmögliche Bewertung erhalten haben.

Mit Hilfe von „Erebos“ bringt man auch sonst eher lesefaule Kinder zum Lesen, versprochen! Es ist ein pädagogisch wertvolles Buch, dass einen unweigerlich zum Nachdenken anregt. Aufgrund der Thematik sollte es meiner Meinung nach in jeder Schulklasse im Rahmen des Unterrichts gelesen und anschließend in der Gruppe diskutiert werden. „Erebos“ ist ein Buch, dass auch sehr gut von der gesamten Familie gelesen werden kann. Ein sogenannter „All-Ager“.

Wer auf den ersten Blick der Meinung sein sollte, dass dieses Buch nichts für ihn sei, der irrt gewaltig! Denn es ist völlig egal, ob man sich privat für Videospiele interessiert oder nicht: „Erebos“ muss man einfach gelesen haben und man wird es zweifelsohne lieben. Dieses Buch kann man eigentlich gar nicht beschreiben, man muss es einfach selbst lesen, bzw. ja eher erleben! Wer „Erebos“ nicht liest, ist selber schuld!

Dies ist ein Buch für alle, die einmal etwas Anderes, etwas Besonderes lesen wollen. „Erebos“ sticht so positiv aus der Masse hervor, wie es ein Buch überhaupt nur zu tun vermag. Es spielt in der obersten Liga der Spannungsliteratur. Wenn ich jetzt die Behauptung aufstelle, dass dieses Buch süchtig macht, ist das wahrlich nicht übertrieben.

Handlung

(Frei von Spoilern - Es wird nichts Wichtiges verraten, dass man nicht auch dem Klappentext entnehmen könnte!)

Nick beobachtet an seiner Schule ein merkwürdiges Verhalten einiger seiner Mitschüler. Diese übergeben oder empfangen diskret geheimnisvolle kleine Päckchen, über deren Inhalt sie anschließend kein Wort verlieren oder eine Ausrede erfinden. Nick, der eigentlich immer auf dem Laufenden ist, was in der Schule aktuell passiert oder modern ist, wundert sich sehr darüber, dass er bisher weder Bescheid weiß um was es dabei genau geht, noch dass ihm jemand eines dieser ominösen Päckchen gegeben hat. Dass auch sein bester Freund Colin ein Insider ist und ihm gegenüber nicht mit der Wahrheit herausrücken will, verärgert ihn sehr. Als dieser dann plötzlich nicht nur das Basketball-Training wiederholt schwänzt, sondern auch nicht zum Unterricht erscheint, beginnt Nick sich ernsthaft Sorgen zu machen. Dabei ist Colin nicht der einzige Mitschüler, der plötzlich unzuverlässig geworden ist. Als Nick dann doch endlich von einer Mitschülerin das kleine Päckchen überreicht bekommt, ist seine Neugier endlich befriedigt und schlägt in Erstaunen um, als er bemerkt, dass es sich dabei um ein Videospiel, ein Rollenspiel, handelt. Doch es ist kein normales Videospiel, wie Nick schon sehr früh feststellen muss. Denn es scheint den Spieler zu kennen und erkennt sogar, wenn dieser lügt. Zudem stellt es auch Aufgaben, die in der Realität verrichtet werden müssen. Da stellt sich nicht nur Nick die Frage, wie ein Computerspiel erkennen kann, wann er lügt oder ob er eine Aufgabe wie verlangt erfüllt hat? Und warum kann es wirklich auf jede nur erdenkliche Frage, die man stellt, sinnvoll antworten?

„Erebos“ hat strikte Regeln, die es den Spielern auferlegt:
- Spiele immer alleine!
- Du hast nur ein Leben, wenn du dieses verlierst, kannst du nie wieder „Erebos“ spielen!
- Verbreite keine Informationen über das Spiel im Internet, im Freundeskreis oder der Familie!
- Du darfst dich nur im Spiel über „Erebos“ unterhalten – und zwar am Lagerfeuer!
- Verrate niemals deinen wahren Namen oder den deiner Spielfigur!
- Neugier wird bestraft!
- Bewahre die Erebos-DVD sicher auf. Du brauchst sie, um das Spiel zu starten. Kopiere sie nur,     
  wenn du dazu aufgefordert wirst!
- Wenn du gegen die Regeln verstößt, kannst du für immer vom Spiel ausgeschlossen werden!

Nick findet trotz anfänglicher Schwierigkeiten immer besser ins Spiel und lernt schnell dazu. Sein Avatar, der Dunkelelf Sarius, besteht immer größere Herausforderungen und hat gute Chancen, sich in den Inneren Kreis hochzukämpfen. Diesen bilden die fünf besten Spieler von „Erebos“, die nebenbei speziell trainiert werden, um im großen Finale den Sieg über Ortolan davonzutragen. Doch um es in den Inneren Kreis zu schaffen, muss Sarius noch einige Level aufsteigen, weitere Fähigkeiten dazulernen oder verbessern und vor allem immer schwerere Aufgaben des Boten erfüllen. Diese sind auch die einzige Chance, dem virtuellen Tod gerade noch einmal von der Schippe zu springen. Doch der Preis, sein einziges Leben zu schützen, wird leider immer größer.

Und mit einem weiteren Auftrag des Boten ändert sich plötzlich alles. Da ich aber niemandem den Lesespaß verderben möchte, ende ich an dieser Stelle mit der Beschreibung der Handlung.

Atmosphäre & Schreibstil

Ursula Poznanski hat eine der lebendigsten Welten erschaffen, die je zwischen zwei Buchdeckeln existiert haben. Sie lässt das atemberaubende „Erebos“ derart bildgewaltig vor unserem geistigen Auge entstehen, dass man nicht nur ob dessen Realität unweigerlich erschrickt, sondern mit der Zeit fast schon zu vergessen beginnt, dass es sich hierbei um reine Fiktion handelt. Man verspürt unweigerlich große Lust, tief in diese Welt einzutauchen, sich darin frei bewegen zu können und „Erebos“ zu erkunden, das voll von den typischen Rollenspielfiguren wie z.B. Barbaren, Vampiren, Werwölfen, Zwergen, Dunkelelfen und ähnlichen Wesen ist.

Die beiden Handlungsstränge spielen in der realen Welt sowie im Spiel „Erebos“ selbst. Beide harmonieren perfekt miteinander und halten die Spannung permanent hoch. Dies gelingt der Autorin auch Dank der geschickt eingebauten Rätsel und der häufigen nicht vorhersehbaren Wendungen. Die Unfähigkeit, das Buch auch nur für einen Moment aus den Händen zu legen, rührt vor allem daher, dass im Spiel immer etwas Besonderes passiert: seien es die großen und bedeutsamen Kämpfe in der Arena, ein neuer herausfordernder Auftrag des Boten oder ein aufschlussreiches Gespräch am Feuer, dass möglicherweise ein paar Fragezeichen in Luft aufzulösen vermag.

Positiv anmerken möchte ich an dieser Stelle, dass trotz der ob dieses Themas nicht zu umgehenden Kämpfe dieses Buch nie zu brutal gerät und man es damit bedenkenlos jedem Jugendlichen ab ca. 12 Jahren empfehlen kann.

Achtung – Spoiler! (Wer sich den Lesespaß nicht nehmen lassen möchte, sollte diesen farblich markierten kurzen Absatz besser überlesen)

In diesem Buch ist man nicht bloß ein stiller Beobachter, sondern es ist wirklich so, als würde man alles am eigenem Leib erleben. Wir fiebern mit Nick mit und durchleben auch die gleiche Gefühlswelt wie er: Anfangs sind wir neugierig, was da Geheimnisvolles in der Schule umhergereicht wird, dann erleben wir die Faszination des Spiels. Nach Nicks Ausschluss sind wir zutiefst schockiert und hoffen, dass er es wieder ins Spiel schafft und wir mehr von „Erebos“ erleben dürfen. Als dies nicht klappt und sogar sein Freund fast getötet wird, schlägt es in „Hass“ um und wir hoffen, dass es Nick und seinen neugewonnenen Freunden endlich gelingen wird, den Alptraum „Erebos“ zu beenden.

Es gibt nur sehr wenige Bücher, die ich wirklich in einem Rutsch durchlese. Dieses gehört dazu. Selbst als mir vor lauter Müdigkeit schon fast die Augen wie von selbst zuzufallen drohten, konnte ich das Buch einfach nicht aus der Hand legen. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass ich erst am nächsten Tag erfahren würde, wie die Geschichte endet und was bis dahin noch alles passieren würde. Daher habe ich meine Müdigkeit besiegt und das Buch tatsächlich noch in jener Nacht zu Ende gelesen. Und just in diesem Moment musste ich mit Schrecken feststellen, dass ich mich beim Lesen von „Erebos“ bereits genauso verhalten habe wie Nick beim Spielen von „Erebos“. Da dieses Buch offenbar nicht nur bei mir diese Wirkung hatte, würde ich dringend empfehlen, es auf gar keinen Fall „zwischendurch“ lesen zu wollen, denn hat man es erst einmal angefangen, wird man es höchstwahrscheinlich wie so viele andere Leser auch, in einem Stück lesen und lieber anderes liegen lassen oder auf später verschieben, als das Buch vorzeitig aus der Hand zu legen.

Nachbemerkungen

Videospiele mit ihren prachtvollen und aufregenden Spielwelten bieten einem die Flucht aus dem tristen Alltag des eigenen Lebens, das manchem Spieler im Vergleich dazu einfach nur noch erbärmlich erscheint. Man kann beim Spielen auch wunderbar alle seine Probleme zumindest für eine gewisse Zeit ausblenden. In der Realität ist man nur ein normaler Mensch, in der virtuellen Welt hingegen kann man sehr leicht ein Held sein. In einem Rollenspiel kann jeder so sein, wie er will. Er ist frei von Vorurteilen, kann sich seiner eigenen Persönlichkeit entledigen und nach Anerkennung und Macht streben, die ihm im wahren Leben vorenthalten sind. Hier kann der Schwache deutlich an Stärke gewinnen, in solch einer Welt über sich hinauswachsen. Man nimmt in einem Rollenspiel eine komplette andere Rolle ein und kann sich so geben, wie man es möchte. Was in der Realität leider nicht immer möglich ist.

Jeder, der selbst vertraut mit modernen Videospielen ist, weiß nur zu gut, dass man oft länger spielt, als man es eigentlich will, da man nur noch schnell den kommenden Bossgegner besiegen will, es das nächste Kapitel zu erreichen gilt, der nächste Level-Anstieg kurz bevorsteht oder Ähnliches. Doch um Bezug auf dieses Buch zu nehmen, sollte man sich einmal ehrlich die Frage stellen, wie weit man selbst gehen würde, um in einem Videospiel besser, stärker und mächtiger zu werden oder mehr Anerkennung der Mitspieler zu bekommen?

Irgendwann überschreitet man vielleicht eine unsichtbare Grenze. Verbringt zu viel Zeit vor dem Bildschirm, vernachlässigt sein eigenes Leben, alltägliche Bedürfnisse ebenso wie das Hegen und Pflegen von Freundschaften und anderen zwischenmenschlichen Beziehungen. Vielleicht kann man dann auch nicht mehr zwischen Realität und der virtuellen Welt unterscheiden. Im denkbar schlimmsten Fall bevorzugt man das sein virtuelles Leben dem realen Leben und gibt sich damit selbst als Person auf. In diesem Zusammenhang sei auch die Frage gestattet: Kontrolliert der Spieler das Spiel oder das Spiel den Spieler?

„Erebos“ zeigt uns klar auf, zu was der Mensch innerhalb einer Gruppe imstande ist, die nur ihren eigenen Regeln unterworfen ist und wie sehr Macht die eigene Persönlichkeit verändern kann.

Schlusswort

Wetten, dass selbst Erwachsene, die bisher noch gar kein Interesse an Videospielen hatten, nach dieser Lektüre geneigt sind, zu einem Videospiel zu greifen und in ähnlich faszinierende Welten abtauchen?

Und jetzt mal ganz ehrlich: Wenn es die negativen Aspekte von „Erebos“ nicht geben würde, wer von uns würde es dann nicht liebend gerne spielen wollen?

Hinweis

Rechtschreibung und Grammatik wie immer ohne Gewähr!  ;)
"Wenn zwei Menschen immer der gleichen Meinung sind, dann ist einer von ihnen überflüssig." Winston Churchill