Autor Thema: Philipp Möller - Isch geh Schulhof  (Gelesen 6048 mal)

Helluo Librorum

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Philipp Möller - Isch geh Schulhof
« am: 14. Okt. 2013, 11:43:46 »
Helluo Librorum präsentiert aus der Reihe "Bücher, die man gelesen haben muss":

Philipp Möller - Isch geh Schulhof: Unerhörtes aus dem Alltag eines Grundschullehrers


Genre: Erfahrungen
Seiten: 368
Verlag: Bastei Lübbe
ISBN-10: 3404606965
ISBN-13: 978-3404606962

Link zur Leseprobe:


http://www.amazon.de/Isch-geh-Schulhof-Unerh%C3%B6rtes-Grundschullehrers/dp/3404606965/ref=sr_1_21?s=books&ie=UTF8&qid=1381132928&sr=1-21#reader_3404606965

Heute ist Klassenausflug. Bowlen - damit die Kinder sich endlich mal so richtig austoben können. Als ich den Klassenraum betrete, stürmen die ersten schon auf mich zu. "Herr Mülla, iebergeil!", ruft Ümit. "Isch mache Strike, ja? Schwöre, schmache eine Strike!" Mit wilden Bowling-Trockenübungen steht er vor mir. Wenn er nachher tatsächlich so bowlt, nehme ich mir besser einen Helm mit.
(Auszug aus dem Buch)

Philipp Möller traf in einer Berliner Grundschule auf Kinder, die ihrem Alter entsprechend weder ausreichend lesen oder rechnen konnten. Auch das grammatikalische Grundverständnis fehlt immer mehr Schülern, was sich dann natürlich auch unverkennbar in ihrer Sprachgestaltung niederschlägt und beispielsweise zu solch „kreativen“ Sätzen führt wie der diesem Buch den Titel gebende.

Am Anfang dachte Möller noch, dass seine Arbeit als Aushilfslehrer eine relativ lockere Angelegenheit werden dürfte. Doch schnell musste er sich selbst eingestehen, wie falsch er mit seiner Vermutung doch lag. Wenn der Musikunterricht an ein negatives „Best of DSDS-Casting“ erinnert, die Kinder statt einem Pausenbrot die Reste des gestrigen Burger King-Menüs essen oder Schüler mit ADHS ihre Tabletten nicht genommen haben und plötzlich im Klassenraum ausflippen, dann fällt es einem sicherlich alles andere als leicht, das alles zu begreifen und vor allem dauerhaft zu ertragen.

Wer bis heute ernsthaft gedacht hat, dass der Beruf des Lehrers ein recht entspannter Beruf ist, bei dem man lediglich seinen Schülern ein wenig erzählt, Klassenarbeiten schreiben lässt, Noten verteilt und ansonsten jede Menge Urlaub im Jahr hat, der hat schon immer gewaltig geirrt und wird dies hoffentlich spätestens nach dem Lesen dieses Buches auch endlich begreifen.

Man kann doch eigentlich nur größten Respekt vor den Menschen haben, die sich den Beruf des Lehrers antun und dieses in der Regel auch noch bis zum Tage ihrer Pensionierung hin. Ich würde es wahrscheinlich nicht ein einziges Jahr lang unter solchen Umständen aushalten können, bzw. überhaupt wollen. Umso schöner ist es, das es natürlich auch Lehrer gibt, die in ihrem Beruf voll aufgehen und Freude daran haben. Aber diese werden sicherlich auch andere Alltagserfahrungen erleben als viele ihrer Kollegen.
 
„Isch geh Schulhof: Unerhörtes aus dem Alltag eines Grundschullehrers“ ist eine eindringliche Warnung, die man auf gar keinen Fall ignorieren oder den Grund dafür verharmlosen sollte. Um diese Problematik zu verstehen, muss man ob der Klarheit der mannigfaltigen Probleme übrigens nicht selbst ein Pädagoge sein.

Trotzdem sind es verständlicherweise die Lehrer, die als erste die Auswirkungen der unzureichenden deutschen Bildungspolitik spüren. Der ehemalige Lehrer schwingt in seinem Buch nicht nur mit dem bildungspolitischen Vorschlag-Hammer und macht es zu einer humoristischen Sozialkritik, sondern er versucht auch immer wieder, Lösungen für die vorhandenen Probleme aufzuzeigen.

Dieses Buch ist eine absolute Pflichtlektüre für jeden, der sich für diese Thematik interessiert und ernsthaft wissen möchte, wie es um das deutsche Schulsystem und seine Schülerschaft bestellt ist. Sowohl Lehrer als auch Schüler oder deren Eltern könnten etwas daraus lernen.

„Isch geh Schulhof: Unerhörtes aus dem Alltag eines Grundschullehrers“ gehört für mich zu den Büchern, wo ich mir aufrichtig wünschen würde, dass sie nie hätten geschrieben werden müssen, dass es die beschriebene Thematik gar nicht geben würde.

Doch auch wenn mancher vielleicht die Situation ziemlich genau erahnen konnte, wird die in dem Buch beschriebene Realität wohl für einige noch deutlich schlimmer ausfallen, als sie es gedacht hätten.

Wenn eine Nation an der Bildung spart, dann richtet sie sich auf kurz oder lang zugrunde.
Länder, denen man anhand der Pisa-Studie ein deutlich besseres Bildungssystem nachsagen kann als wir es in Deutschland haben, sind vor allem Finnland, Japan, Kanada und die Niederlande. Gerade bei den Finnen dürften sich die Verantwortlichen in Deutschland nur zu gerne mehr als eine Scheibe abschneiden.

Um langfristig wirklich etwas bewirken zu können, muss man am besten alle betroffenen Parteien mit ins Boot holen: Die Politik, die Lehrer, die Eltern und natürlich die Schüler. Nur gemeinsam kann man entscheidende Besserungen herbeiführen.

Die Politik müsste erst einmal den Schulen im gesamten Bundesgebiet, vor allem aber in den Problembezirken zur Verfügung stellen, um mittel- und langfristig Verbesserungen herbeizuführen. Alleine am Glauben daran mangelt es mir. Dabei würde das am Ende wahrscheinlich sogar dazu führen, dass der Staat sogar noch Geld spart. Denn so würden in Zukunft sicherlich deutlich weniger Kosten für Arbeitslose, Bewerbungstrainings, Qualifizierungs- und Schulungsmaßnahmen sowie einige andere kostenintensive Maßnahmen anfallen. Manchmal muss man eben erst einmal Geld ausgeben, wenn man Geld sparen will.

Ein negativ begünstigender Faktor ist es zudem, wenn Eltern ihren Kindern bereits in jüngsten Jahren erlauben, mehrere Stunden pro Tag vor dem TV oder am PC zu verbringen, dann braucht man sich über solche Auswüchse leider auch nicht mehr ernsthaft zu wundern. Selbst in meiner Kindheit und Jugend (Baujahr 1979) ging es schon los und meine Eltern haben mich den Unterhaltungsmedien überlassen. Spieleabende, gemeinsamer Sport oder Ausflüge am Wochenende standen sehr selten auf der Tagesordnung.

Man mag es sich gar nicht erst vorstellen wollen, welche Ausmaße diese Problematiken noch annehmen könnten, wenn man nicht endlich einmal sinnvolle Ideen entwickelt, um dem allem wirkungsvoll vorzubeugen.

Nach der Lektüre dieses Buches darf man sich wohl kaum noch über die heutige Jugend wundern. Wobei natürlich nicht verallgemeinert werden darf. Nicht alle Schüler entsprechen mehr oder weniger dem Bild, das Philipp Möller in diesem Buch zeichnet, aber leider ist der Anteil jener Schüler, die diesem Bild entsprechen, viel zu groß. Im Gesamtbild des deutschen Schulsystems betrachtet sind die Schilderungen daher absolut authentisch. Auch bei meiner ergänzenden Internetrecherche zu diesem Buch habe ich den Rezensionen entnehmen können, dass im Prinzip jeder, der sich als Lehrer zu erkennen gegeben hat, ähnliche Erfahrungen hatte und dem Autor dieses Buches recht gibt.

In insgesamt 32 Kapiteln erfahren wir einige „Highlights“ aus dem Schulalltag, wie ihn Philipp Möller seinerzeit erlebt hat. Solch ein Erfahrungsbericht aus erster Hand ist ungleich wertvoller als beispielsweise ein allgemein und objektiv verfasster Zeitungsartikel.
Dabei zeigt Möller die schulischen und persönlichern Defizite seiner Schüler auf, ohne sie dabei bloßzustellen. Der Autor nimmt bewusst kein Blatt vor den Mund und kritisiert die Missstände schonungslos. Man hätte wahrscheinlich das gesamte Buch hindurch nahezu pausenlos lachen können, wenn es sich bei diesem Buch um einen Roman gehandelt hätte, aber da er die bittere Realität widerspiegelt, bleibt einem das Lachen doch eher im Halse stecken. Philipp Müller stellt sich übrigens als sehr feiner Beobachter heraus. Mancher Lehrer ist vielleicht mit der Zeit bereits so abgestumpft, dass ihm die Probleme gar nicht mehr auffallen oder er sie zumindest einfach so hinnimmt. Doch nicht so dieser Lehrer. Möller resigniert trotz all der Probleme nicht und versucht alles, um auch dem schwierigsten Schüler vielleicht doch noch etwas beizubringen. Wofür vielen Lehrern zumindest auf Dauer die Kraft dafür fehlt, hat Philipp Möller damals geschafft: nämlich mit enorm viel Fingerspitzengefühl auch mit seinen Problemfällen in den Klassen pädagogisch wertvoll umzugehen. Doch darf es niemanden verwundern, nachdem er diese Zeilen gelesen hat, dass Lehrer eine der Berufsgruppen sind, die besonders davon gefährdet sind, früher oder später am Burnout-Syndrom zu leiden. Nicht förderlich ist es natürlich, dass Lehrer, die regelrecht Angst vor ihren Schülern haben oder in ihrem ursprünglichen Vorhaben Wissen zu vermitteln bereits völlig resigniert haben, unkündbar sind und weiterhin Schüler unterrichten dürfen. Aber das nur am Rande.

Je mehr Problemfälle es in einer Klasse gibt, umso geringer sind die Chancen, effektiv unterrichten zu können. Wie frustrierend muss es als Lehrer sein, wenn man seinen Schülern teilweise selbst die einfachsten Grundlagen und Zusammenhänge nicht erklären, bzw. vermitteln kann? Oder wenn man bei seinen Schülern bereits in jungen Jahren erahnen kann, dass diese in der Zukunft keine wirkliche Perspektive haben dürften? Dabei sind Kinder aus Familien, wo die Eltern selbst über eine mangelhafte Grundbildung verfügen, besonders gefährdet zu „Schulversagern“ zu mutieren.

Lehrer können bei Problemen leider oft nicht auf die tatkräftige Unterstützung seitens der Eltern hoffen, einige zeigen sogar keinerlei Interesse an den schulischen Leistungen ihres Kinder oder nur dann, wenn es mal wieder Zeugnisse gibt. Auch Alkoholismus eines oder beider Elternteile ist ein leider nicht seltenes Problem und führt dazu, dass im Prinzip alles andere außer dem Alkohol deutlich an Wertschätzung verliert. Doch die Eltern neigen leider häufig dazu, den Lehrkräften die Schuld zu geben und ihren eigenen Anteil an den Problemen ihres Kindes geflissentlich zu ignorieren.

Nicht wenige Schüler stehen zu ihrer Lernunwilligkeit, einige sehen sich bereits von jungen Jahren an völlig chancenlos in dem Umfeld, wo sie aufwachsen. Ich persönlich kann so etwas durchaus nachvollziehen, vor allem, wenn man als ausländischer Mitbewohner in einem Problembezirk und in einer „Hartz-IV-Familie“ aufwächst und eine „Problemschule“ besucht, um es einmal exemplarisch auf die Spitze zu treiben. Wem es da tatsächlich noch gelingt, eine Perspektive für sich zu sehen und die Motivation aufzubringen, sich in der Schule voll reinzuhängen, um diesem negativen Umfeld hoffentlich eines Tages entfliehen zu können, dem gebührt mein allergrößter Respekt.

Manches in diesem Buch beschriebene Schülerschicksal geht einem beim Lesen ehrlich gesagt ziemlich nahe.

Nicht selten haben die Probleme in den Klassen auch religiöse Hintergründe. Doch bevor jemand auf diesen Gedanken kommen mag, sei gesagt, dass dieses Problem ausdrücklich kein alleiniges der Immigranten ist, auch wenn diese mit Sicherheit den größeren Anteil ausmachen dürften.

„Isch geh Schulhof: Unerhörtes aus dem Alltag eines Grundschullehrers“ fesselt einen von Beginn an und man möchte es am liebsten nicht wieder aus der Hand legen, bevor man es zu Ende gelesen hat. Wen dieses Buch nicht zum Nachdenken anregt, welches vermag es dann zu tun?

Schade ist nur, dass es diejenigen, die es am ehesten mal lesen sollten, wohl eher nicht lesen werden: nämlich die in diesem Buch angesprochenen Schüler.

Bei guten und vor allem sehr guten Büchern wünsche ich mir eigentlich fast immer, dass es noch deutlich länger ausgefallen wäre. Bei diesem Buch muss ich das jedoch sehr differenziert betrachten, denn wäre es wesentlich umfangreicher, dann hätte dies natürlich auch einen negativen Aspekt, weil man dann noch viel mehr von dem erzählt bekäme, wo man sich von ganzem Herzen wünschen würde, dass es doch bloß reine Fiktion wäre. Manchmal ist es eben leider die Wahrheit, die am meisten schmerzt.

Interessierte sollten übrigens ruhig einmal einen Blick in die Internet-Adressen werfen, die am Ende des Buches aufgeführt sind.

Hinweis

Rechtschreibung und Grammatik wie immer ohne Gewähr.
;)
"Wenn zwei Menschen immer der gleichen Meinung sind, dann ist einer von ihnen überflüssig." Winston Churchill


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Antw:Philipp Möller - Isch geh Schulhof
« Antwort #1 am: 14. Okt. 2013, 12:06:37 »
Ich werd es mir als Hörbuch antun... ;)
Wenn mich die Donner des Todes begrüßen,
wenn meine Adern geöffnet fliessen,
dir meinem Gott ergebe ich mich,
Walvater Odin ich rufe dich!!!

Helluo Librorum

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Antw:Philipp Möller - Isch geh Schulhof
« Antwort #2 am: 14. Okt. 2013, 13:57:22 »
Ich werd es mir als Hörbuch antun... ;)

Zu faul zum Lesen.  ::)
"Wenn zwei Menschen immer der gleichen Meinung sind, dann ist einer von ihnen überflüssig." Winston Churchill


Matt Broetchen

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Antw:Philipp Möller - Isch geh Schulhof
« Antwort #3 am: 14. Okt. 2013, 14:50:55 »
Jep, davon mal ab, ein Hörbuch geht immer nebenbei! ;)
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Walvater Odin ich rufe dich!!!