Autor Thema: Janne Teller – Nichts. Was im Leben wichtig ist.  (Gelesen 15585 mal)

Helluo Librorum

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Janne Teller – Nichts. Was im Leben wichtig ist.
« am: 11. Jun. 2012, 15:52:44 »
Helluo Librorum präsentiert aus der Reihe "Bücher, die man gelesen haben muss":

Janne Teller – Nichts. Was im Leben wichtig ist.


Genre: Jugendbuch
Seiten: 144
Verlag: Hanser
ISBN-10: 3446235965
ISBN-13: 978-3446235960

Zitate

"Eine psychologisch spannende Parabel über Mut und Feigheit, über den Sog und die Faszination von Grausamkeit, über die Verführbarkeit durch Ideologien und die Suche nach dem Sinn des Lebens. 'Nichts' erschüttert dadurch, dass das Erzählte nicht wahrscheinlich, aber denkbar ist und so unaufhaltsam abläuft wie ein antikes Drama. Unberührt wird keiner das Buch aus der Hand legen." (Sylvia Schwab / Deutschlandradio Kultur)

"Dieses Buch ist ein Hammer. Es ist radikal, es ist verstörend, es ist wahrhaftig, also genau so, wie gute Jugendliteratur eigentlich sein sollte." (Amelie Fried und Ijoma Mangold / ZDF Die Vorleser)

Als 'Nihilistischen Schocker' titulierte die Wiener Zeitung vom 18.10.2010, Janne Tellers Roman: 'NICHTS', was im Leben wichtig ist.

Pierre zu Agnes:
"Du wirst bestimmt Designerin und stöckelst auf hohen Schuhen herum und spielst die Smarte und überzeugst alle anderen, dass sie glauben, wenn sie nur in Sachen von deiner Marke rumlaufen, seien sie auch smart. Aber du wirst feststellen, dass du ein Clown in irgendeinem überflüssigen Zirkus bist, wo alle versuchen, sich gegenseitig vorzumachen, es sei lebensnotwendig, in einem Jahr auf diese Weise gekleidet zu sein und im nächsten auf eine andere. Und du wirst feststellen, dass der Ruhm und die große Welt außerhalb von dir sind, dass aber innen nichts ist und dass es auch so bleiben wird, egal was du tust." (Zitat aus dem Buch)

Autorin & Buch (Allgemeines)

„Nichts. Was im Leben wichtig ist.“ ist ein bewusst provokantes Buch, das in der Vergangenheit bereits für viel Öffentliches Aufsehen gesorgt hat. In Dänemark wurde es an den Schulen zu seinem Erscheinen im Jahre 2000 sogar erst einmal verboten. Es sei ein Jugendgefährdendes Werk, urteilten viele Eltern, Lehrer und Kritiker. Die Kirche meinte, dass Jugendliche mit der Frage nach dem Sinn des Lebens doch bitte bei ihnen vorstellig werden sollten. Es wurde sogar ernsthaft vorgeschlagen, das Buch auf den Index Jugendgefährdender Schriften zu setzen. Heute jedoch ist es an allen Schulen wieder erlaubt. Und das vollkommen zu Recht. 

„Nichts. Was im Leben wichtig ist.“ sollte meiner Meinung nach zur Pflichtlektüre an sämtlichen Schulen gehören, inklusive ausführlicher Besprechung des Buches und der damit einhergehenden Thematik.

Dieses Buch sollte eher ab einem Alter von 13 Jahren gelesen werden. Eltern, die es ihrem Kind zu Lesen geben wollen, sollten es vorab am Besten selbst lesen und dann entscheiden, ob sie es bereits jetzt oder erst später ihrem Kind zumuten wollen. Auch sie sollten anschließend mit ihrem Kind ausführlich über das Buch und die Botschaft, die es vermittelt, sprechen.

Nach den anfänglichen Unruhen rund um das Buch konnte die Autorin schon bald wieder positive Schlagzeilen machen. Das Dänische Kultusministerium hat Janne Teller im Jahre 2001 verdientermaßen den Jugendbuchpreis für "Nichts. Was im Leben wichtig ist." verliehen.

Es nur als ein Jugendbuch zu betrachten wäre definitv ein Fehler. Es ist nicht nur auch für Erwachsene geeignet, sondern bietet auch einen guten Einstieg in die Philosophie und bringt mit seiner Sozialkritischen Botschaft viele Diskussionen in Gang.

Man fühlt sich beim Lesen übrigens unwillkürlich an das Kultbuch „Die Welle" von Morton Rhue erinnert.

Handlung

Zusammenfassung Teil 1 (Frei von Spoilern - Es wird nichts Wichtiges verraten!)

In der siebten Klasse eines Gymnasiums in der dänischen Stadt Taering passiert am ersten Schultag nach den Sommerferien etwas Ungewöhnliches. Pierre schockiert seine Mitschüler mit folgender Aussage: "Nichts bedeutet etwas. Das weiß ich schon lange. Deshalb lohnt es sich nicht, irgendetwas zu tun. Das habe ich gerade herausgefunden.". Die anderen widersprechen ihm vehement, jedoch prallen deren Einwände allesamt an Pierre ab, der ob ihrer Naivität nichts als Mitleid für sie übrig hat. Er kontert mit weiteren Äußerungen, die seine Mitschüler aus der Fassung bringen: Der Mensch wird maximal etwas über 100 Hundert Jahre alt, die Erde hingegen existiert bereits seit Milliarden Jahren. Er ist bloß ein winzig kleiner Teil in einem unendlich großem Universum und man würde bereits ab dem Moment der Geburt an beginnen zu sterben. Wie soll man selbst dann wichtig sein? Wie kann das Leben wichtig sein? Wie kann etwas Lächerliches wie ein materieller Gegenstand von Wichtigkeit sein? Das Leben an sich sei es nicht wert, etwas zu tun, sich dafür anzustrengen. Und somit sei auch die Schule im höchsten Grade unwichtig.

Pierre steht auf, packt seine Schulsachen zusammen und verlässt für immer das Klassenzimmer und das Schulgebäude. Dabei lässt er seine sprachlosen Mitschüler zurück.

In den nächsten Tagen sitzt er dann während des Unterrichts auf einem Pflaumenbaum  vor dem Schulgebäude und wirft bei jeder Möglichkeit mit dessen Früchten nach seinen ehemaligen Mitschülern. Dabei gibt er auch weiterhin seine Lebensweisheiten zum Besten. Was er zu sagen hat, beunruhigt die Jugendlichen so sehr, dass sie gemeinsam beschließen, Pierre zu beweisen, dass es im Leben doch etwas von Bedeutung gibt. Denn sie sind sich einig: Auf gar keinen Fall darf dieser Recht behalten!

In einem stillgelegtem Sägewerk erschaffen die Schüler nach und nach den „Berg der Bedeutung“.
Sie beginnen damit, alles zu sammeln, was für jeden einzelnen von ihnen von Bedeutung ist. So wächst der „Berg der Bedeutung“ von Tag zu Tag an. Wer selbst etwas geopfert hat, darf bestimmen, wer als nächstes dran ist und was dieser hergeben muss. Als die Jugendlichen nach einer Weile merken, dass ihre ersten Opfer alles andere als beeindruckend sind, wird beschlossen, dass sich fortan jeder davon zu trennen hat, was ihm persönlich am wichtigsten ist. Ihre Theorie lautet: Je größer das Opfer, umso größer auch dessen Bedeutung. So muss es doch gelingen, Pierre davon zu überzeugen, dass er im Unrecht ist?!

Doch was die Schüler mit damit auslösen, wissen sie selbst in diesem Moment noch nicht. Denn das „Experiment“ gerät zunehmend außer Kontrolle.

Zusammenfassung Teil 2

(Achtung, Spoiler! Wer sich den Lesespaß nicht verderben möchte, sollte diesen farblich markierten Teil besser komplett überlesen!)

Die Forderungen der Opfer werden immer unvorstellbarer. In der Trauer über den eigenen Verlust beginnt man schnell eine Grenze zu überschreiten und überlegt sich, wie man dem Mitschüler noch mehr weh tun kann, als man es eben am eigenem Leib erfahren hat. Es regieren immer mehr Hass und Neid. Obwohl es irgendwann erste vernünftige Jugendliche gibt, die den Wahnsinn erkennen und sich nichts lieber wünschen würden, als dass dieser ein sofortiges Ende nehmen möge, wagt niemand von ihnen den entscheidenden Schritt.

Erst als der talentierte Gitarrist Johan seinen Zeigefinger opfern muss, offenbart er sich seinen Eltern, welche unverzüglich die Polizei einschalten. Schnell werden auch die Medien auf die obskuren Geschehnisse aufmerksam und berichten darüber. In Folge dessen bekundet ein Kunstmuseum ernsthaftes Interesse an dem „Berg der Bedeutung“ und bietet den Jugendlichen dafür stolze 3 Millionen!

Es war Pierre`s ehemaligen Mitschülern übrigens auch nicht gelungen, ihn davon zu überzeugen, dass es im Leben etwas von Bedeutung gibt. Er saß weiterhin auf dem Baum und machte sich über deren lächerlichen Versuche lustig. Denn haben sie nicht gerade durch ihre Opfer bewiesen, dass es nichts von Bedeutung gibt in dieser Welt? Denn wenn dies alles wirklich so bedeutsam wäre, hätte man es doch auf gar keinen Fall geopfert?

Als die Jugendlichen merken, dass alle ihre Bemühungen nichts nutzen, beschließen sie, sich gemeinsam an Pierre zu rächen...

Hier ein paar Beispiele, was geopfert werden musste. Zuerst die harmloseren Sachen, dann die immer heftigeren Opfer:

Fotos, Bücher, Ohrringe, Boxhandschuhe, Lieblingspuppe, Teleskop, Rennrad, Zopf eines Mädchens, Tagebuch, Gebetsteppich eines streng gläubigen Muslimen, Hamster, Kopf des eigenen Hundes, die Unschuld eines Mädchens.


Charaktere

Die Charaktere spielen in dieser Geschichte eine ziemlich untergeordnete Rolle. Denn es geht nicht darum, sie detailliert zu beschreiben, sondern um ihr Gefühlsleben, Denken und vor allem deren Handeln.

Dennoch erkennt man nur zu leicht das übliche Muster vieler Schulklassen oder Gruppen, wo die einen das Sagen haben, die anderen zu nichts mehr als Mitläufern taugen und manche wenige einfach nicht den Mut haben, gegen die Stärkeren aufzubegehren.

Atmosphäre & Schreibstil

Eines muss man sagen: Dieses Buch ist auf gar keinen Fall „nichts“. Und damit hat die Autorin ihre anfängliche Fragestellung eigentlich schon selbst beantwortet.

Es ist ein für ein Jugendbuch erstaunlich tiefgründiges und ernstes Buch, an das man sich auch viele Jahre später noch erinnern wird. „Nichts. Was im Leben wichtig ist.“ ragt aus der Masse der Jugendbücher positiv heraus und ist längst zu einem modernen Klassiker geworden. Über dieses Buch lässt sich wunderbar diskutieren, es polarisiert wie kaum ein anderes. Wenn dieses Buch nicht zum Nachdenken anregt, welches Buch vermag dies dann überhaupt zu tun? Es ist voll mannigfaltiger Emotionen und gehört zu den ganz wenigen Büchern, die mich sehr bewegt haben.

Janne Teller bietet uns ein wahrlich erschütterndes Leseerlebnis und geht dabei bewusst über die Grenzen hinaus. Sie schreibt schonungslos brutal und schockierend, alleine aus diesem Grund ist „Nichts. Was im Leben wichtig ist.“ ein Buch, bei dem man besonders auf das Alter des Kindes achten sollte. Janne Teller hat eine unverwechselbare Art, ihre Leser in den Bann zu ziehen. Da man die Geschichte aus der Sicht einer Mitschülerin von Pierre erzählt bekommt, fühlt man sich stets so, als würde man sie selbst erleben.

Ob der brutalen Szenen ist „Nichts. Was im Leben wichtig ist.“ definitiv nichts für schwache Nerven. Auch wenn diese logischerweise (Jugendbuch!) nicht detailliert geschildert werden. „Kopfkino“ lässt grüßen, kann ich dazu nur sagen. Schon Pierres Lebensweisheiten fühlen sich wie ein heftiger Schlag in den Magen an. Die stetig wachsende Grausamkeit der Kinder lässt einen regelrecht erschaudern. Wenn man liest, was sie nach und nach für den „Berg der Bedeutung“ zu opfern bereit sind, dann verschlägt es einem glatt den Atem. Man ist gleichermaßen fasziniert wie angeekelt. Manchmal muss man beim Lesen sogar für einen Moment innehalten und das Buch auf sich wirken lassen, bevor man fortfährt.

Nachbemerkungen

Wahrscheinlich werden auch Sie nach der Lektüre dieses Buches über den Sinn des Lebens sinnieren und sich fragen, was in ihrem Leben wirklich eine Bedeutung hat und sowohl unersetzbar als auch unverzichtbar ist. Welche Konsequenz hätte das für einen, wenn man wirklich gar nichts in seinem Leben finden würde, dass von Bedeutung ist?

Die Frage, die mich beim Lesen selbst am meisten beschäftigt hat, ist die, warum es den Jugendlichen so immens wichtig war, Pierre davon zu überzeugen, dass es etwas von Bedeutung in der Welt gibt? Warum sie dafür bereit waren, teilweise sehr große Opfer zu erbringen? Warum ihnen das „dumme Geschwätz“ von Pierre solche Angst gemacht hat?

Dem neugierigen Leser meiner Buchempfehlung sei an dieser Stelle gesagt, dass die Übersetzung des Ortsnamen „Taering“ in etwa "rosten" oder "korrodieren" lautet.  Das ist doch mal eine durchaus interessante Randnotiz. :)

Hinweis

Rechtschreibung und Grammatik wie immer ohne Gewähr!  ;)
« Letzte Änderung: 11. Jun. 2012, 16:29:47 von Helluo Librorum »
"Wenn zwei Menschen immer der gleichen Meinung sind, dann ist einer von ihnen überflüssig." Winston Churchill