Autor Thema: Anna Sam - Die Leiden einer jungen Kassiererin  (Gelesen 4645 mal)

Helluo Librorum

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Anna Sam - Die Leiden einer jungen Kassiererin
« am: 06. Mär. 2012, 14:08:40 »
Helluo Librorum präsentiert aus der Reihe "Bücher, die man gelesen haben muss":

Anna Sam - Die Leiden einer jungen Kassiererin


Buchinformationen

Genre: Erzählungen (Humor / Erfahrungen)
Seiten: 176
Verlag: Riemann Verlag
ISBN-10: 3570501078
ISBN-13: 978-3570501078

Zitate

"Äußerst amüsant und erschütternd zugleich beschreibt Anna Sam die Possen des Durchschnitts-Supermarktkäufers." (The Times )

"Wer dieses Buch gelesen hat, ändert sein Leben." (Ursula März im Deutschlandfunk )

Einleitung

Wenn alle Menschen einander freundlich begegnen würden, wäre dieses Buch nie erschienen.

Die meisten von uns haben hunderte oder sogar tausende Mal im Jahr Kontakt zu ihnen. Aber Hand aufs Herz: Haben Sie sich schon einmal ernsthaft darüber Gedanken gemacht, wie es dem Kassierer in dem Supermarkt ihres Vertrauens auf der Arbeit so ergeht? Sehen sie in ihm vielleicht sogar einen Menschen zweiter Klasse?

Die Autorin & Das Buch (Allgemeines)

Anna Sam hat mit der Arbeit an der Kasse eines französischen Kaufhauses jahrelang ihr Literatur-Studium finanziert und berichtet in diesem Buch von ihren mehr oder weniger alltäglichen Erfahrungen. Einst waren es noch Blogeinträge, aus denen dann später "Die Leiden einer jungen Kassiererin" entstanden ist. Dass die Autorin trotz allem ihren persönlichen Rückblick mit einem Augenzwinkern versieht, ist in meinen Augen aller Ehren wert. Doch hält Anna Sam uns auch bewusst den Spiegel vor Augen und was wir Leser (Kunden) darin erblicken, wird den meisten von uns mit Sicherheit übel aufstoßen, die wir mit größte Schrecken feststellen müssen, wie vorurteilbehaftet unser Bild eines Kassierers bisher doch war und wie falsch unser Verhalten dieser Berufsgruppe gegenüber.

Die Idee zu diesem Buch ist an und für sich ziemlich banal, aber in seiner Einfachheit trotzdem faszinierend wie ungewöhnlich zugleich und wartet mit sehr großem Wiedererkennungswert auf. Ein ganz großes Lob dafür gebührt meiner ehemaligen Leidensgenossin an der Kassenfront.
 
"Die Leiden einer jungen Kassiererin" - selten wurde in der Übersetzung ein zutreffenderer Titel ausgewählt, der tatsächlich nahezu jeder Kassiererin aus der Seele sprechen dürfte. Obwohl man sich wünschen würde, dass dieses Buch nicht der Wahrheit entspricht, muss man aber leider feststellen, dass hier schonungslos die Wahrheit ausgesprochen wird. Es wird ein mehr als schlechtes Bild unserer Gesellschaft gezeichnet.

Dieses Buch mutet regelrecht als eine Pflichtlektüre für alle Kassierer und die Kunden des deutschen Einzelhandels an. Meiner Meinung nach sollte man es eigentlich in jedem größeren Supermarkt oder Kaufhaus in das Warensortiment aufnehmen und es auffällig in der Kassenzone präsentieren. Wahrscheinlich sehen auch Sie nach der Lektüre dieses Buches die Kassierer in dem Supermarkt ihres Vertrauens fortan mit völlig anderen Augen.

"Die Leiden einer jungen Kassiererin" definiert das Wort "Fremdschämen" neu und erzählt den alltäglichen Wahnsinn einer jeden Kassierkraft.

Wer sich in mancher geschilderten Szene möglicherweise selbst wiedererkennt, der sollte unbedingt einmal tief in sich gehen und ernsthaft sein eigenes Verhalten gegenüber Kassierern, Verkäufern und anderen Berufsgruppen, die uns im Alltag regelmäßig begegnen, reflektieren.

All die grausamen Menschen, denen es geradezu ein Hobby zu sein scheint, den Kassierkräften auch noch den letzten Nerv zu rauben, könnten dieses Buch leider sogar als eine Art Ratgeber, wie sie es in Zukunft noch besser machen können, betrachten. Nicht unerwähnt bleiben darf an dieser Stelle natürlich auch nicht, dass es viele Kunden gibt, die sich sehr wohl zu benehmen wissen und nicht selten an einem besonders stressigem Arbeitstag das Salz in der Suppe sind.

Leseprobe

Mein Name ist Anna. Ich hin 28 Jahre alt, habe meinen Univer­sitätsabschluss in Literaturwissenschaft und eine Erfahrung hinter mir, die sich als ebenso eigenartig wie banal erwies. Ich habe acht Jahre lang in einem der großen Supermärkte gear­beitet, zuerst um damit mein Studium zu finanzieren, da­nach, weil ich keine meiner Ausbildung entsprechende An­stellung fand. Und somit bin ich geblieben, was man heute so schön »Servicemitarbeiterin Kasse« nennt.

..........

Eine Supermarktkasse. Nicht gerade viel Abwechslung, vom »Fiep! Fiep!« beim Einscannen der verschiedenen Arti­kel ganz zu schweigen. Während dieser sanfte Ton sich immer weiter in mein Gehirn fraß, kam ich mir am Ende selbst wie ein Roboter vor. Daneben gab es nur noch die flüchtigen Be­gegnungen mit den Kunden, die auch nicht gerade dazu bei­trugen, die Lebensgeister zurückzurufen.

..........

Es gibt pflegeleichte Kunden und schwierige, reiche und arme, komplexbeladene und solche, an deren Selbstbewusst­sein nie auch nur die Spur eines Zweifels nagt. Kunden, für die man gar nicht existiert, als wäre man unsichtbar, und an­dere, die grüßen, wenn sie an die Kasse kommen. Die Kampf­shopper, die morgens bei der Öffnung schon füßescharrend vor den Pforten warten, und die Superlässigen, die sich grund­sätzlich Zeit lassen, bis der Markt schließt. Kunden, die uns anmachen, andere, die uns beleidigen.

..........

Ware einscannen (Laufband und Artikel im Au­ge behalten, um zu überprüfen, ob nicht vielleicht ein fal­scher Preis angezeigt wird), Summe anzeigen lassen, dem Kunden den Gesamtpreis nennen, ihn fragen, ob er eine Kun­denkarte besitzt, Zahlungsmittel entgegennehmen, Wechsel­geld zurückgeben, dann Kassenbon aushändigen. Dabei im­mer freundlich lächeln. Natürlich. Und ratzfatz noch ein »Auf Wiedersehen und einen schönen Tag noch!« und weiter zum nächsten Kunden.

..........

Doch ebenso schnell nehmen die eigenen Bewegungen Automaten­charakter an, und bald achtet man überhaupt nicht mehr dar­auf, was man eigentlich tut. Ein Monat genügt. und Sie haben das Gefühl, eins mit ihrer Kasse zu sein.

Die Atmosphäre

Anna Sam lässt uns an ihren langjährigen Erfahrungen durchgehend auf humorvolle Art und Weise, oft auch mit einem unverhohlenen Augenzwinkern versehen, teilhaben und erliegt löblicherweise nicht der Versuchung, all ihrem angestauten Frust schonungslos Ausdruck zu verleihen, indem sie ihre Kundschaft abverurteilt. Dabei bietet sie uns zwar extrem leichte, aber dennoch höchst unterhaltsame Lesekost an.

Manches Bild hat sich mir beim Lesen leider unweigerlich in mein Gehirn eingebrannt: vor allem das, auf welche Ideen die Kunden so alles kommen, wenn es darum geht, wo sie ihr Geld gut geschützt vor Taschendieben verstecken können. Getreu dem Motto: Dinge, die ich unter gar keinen Umständen wissen möchte. Mussten Sie eigentlich schon einmal auf die Kundentoilette gehen, um ihren Einkauf bezahlen zu können?

Anmerkungen

Beruf ist leider nicht immer gleich Berufung. Der Beruf des Kassierers ist sicherlich für kaum jemanden der "Traumberuf", den er schon immer ausüben wollte. Es ist und bleibt schlicht und ergreifend eine Tätigkeit, die man ausübt, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.

Aber auch wenn es nicht einer der angeseheneren Berufe ist, wäre es trotzdem unfair, jeden Kassierer oder Verkäufer, jede Putzkraft oder eine ähnliche Tätigkeit ausübenden Arbeiter den Stempel des "Dummkopfes" aufzudrücken, weil der eben (der eigenen Meinung nach) nicht dazu in der Lage ist, eine bessere Arbeit gefunden zu haben. Haben Sie eigentlich schon einmal darüber nachgedacht, mit was sich z.B. unsere Abiturienten teilweise ihr Geld für das Studium verdienen?

Man kann sich ohne eigene Erfahrung in diesem Arbeitsbereich nicht einmal annähernd vorstellen, wie diese scheinbar so leichte Tätigkeit, die nach der persönlichen Meinung vieler (fälschlicherweise) nur von "Losern" verrichtet wird, einen fertig machen kann. Mal abgesehen von einigen unangenehmen Kunden und den allgemeinen Rahmenbedingungen des Arbeitsplatzes ist vor allem die Monotonie ein ständiger Begleiter, der einen schier an den Rand des Wahnsinns treiben kann. Stellen Sie sich bloß einmal vor, wie viele Warenartikel ein in Vollzeit beschäftigter Kassierer innerhalb von nur einem Jahr über das Laufband in die Einpackzone schiebt, wie viele "Bieps" des Scanners (die im Laufe der Zeit wie ein Tinnitus anmuten) seine Ohren vernimmt, wie oft er gefragt wird, wo die Kundentoilette ist, ob er nicht noch eine zweite Kasse öffnen lassen kann oder ob er ihnen das Geld für den Einkaufswagen wechseln kann. Arbeitszeiten im Rahmen von (bis zu) 6-23 Uhr, auf Ablösung warten für den Toilettengang, Samstagarbeit (wenige Läden sogar sonntags), Arbeit an Heiligabend und Silvester, geringe Pausenzeiten, die teilweise in 3-Minuten-Intervallen "genossen" werden, wenn irgendetwas nicht nach Wunsch läuft, ist man stets der Schuldige, eine allgemein stressige Arbeitsatmosphäre und das alles noch zu einem ziemlichen "Hungerlohn". Da wundert man sich doch eigentlich, warum diese Menschen nicht eines Tages plötzlich Amok laufen oder sich freiwillig in der Psychatrie einweisen lassen.

Man sollte den Menschen, die zu diesen Bedingungen arbeiten gehen, mit wesentlich mehr Respekt gegenübertreten und sie so behandeln, wie man selbst gerne von seinen Mitmenschen behandelt werden möchte. Ohne sie würde es nämlich auch keine Supermärkte geben, in denen wir unsere Einkäufe verrichten könnten. (Mal nebenbei bemerkt.)

Ich selbst habe übrigens den Beruf des Kaufmann im Einzelhandel erlernt und innerhalb einer der größten deutschen Handelsgruppen in einem Supermarkt meine Berufsausbildung absolviert, der besonderen Wert auf einen hervorragenden Kundenservice gelegt hat. Daher kann ich aus meiner eigenen persönlichen Erfahrung heraus im Großen und Ganzen den Erfahrungen der Anna Sam ohne Bedenken zustimmen. Vieles davon ist mir selbst widerfahren, anderes ist absolut glaubwürdig und zudem habe ich natürlich auch Sachen erlebt, die der Autorin in ihrer Zeit als Kassiererin entweder erspart worden sind oder die lediglich nicht den Weg in ihr Buch gefunden haben.

"Der Kunde ist König!" lautet die allgemein bekannte Devise, aber die Kunden vergessen eben nur allzu leicht, dass man sich dann auch entsprechend verhalten sollte und nicht wie ein tyrannischer Herrscher, der voll Arroganz und Verachtung auf sein niederes Volk herunterblickt und sich in seiner Macht sonnt.

Man mag es ja vielleicht gar nicht glauben wollen, aber solche Menschen wie hier beschrieben gibt es leider wirklich und sie bilden nicht gerade eine absolute Minderheit. Gehen Sie in Zukunft einfach einmal mit offenen Augen durch die deutschen Supermärkte und Kaufhäuser und machen dabei ihre eigenen Erfahrungen. Vielleicht bringen Sie ja sogar im Fall der Fälle den Mut auf, dem einen oder anderen Kunden, der gerade besonders negativ auffällt, seine Grenzen aufzuzeigen? Der Kassierer wird es ihnen ohne jeden Zweifel zu danken wissen. Und damit würden Sie als positives Beispiel vorangehen.

Vielleicht beobachten Sie sich aber auch selbst bei ihren nächsten Einkäufen und stellen fest, in welche Kategorie Kunde sie gehören?

Wer seine eigene schlechte Laune an unschuldigen Kassierern oder Verkäufern auslässt und dieses auch noch bewusst und voller Freude tut, dem müsste man eigentlich jedwege Menschlichkeit absprechen. Bei manchen Kunden beginnt man tatsächlich relativ schnell den Glauben an die Menschheit zu verlieren und fragt sich, ob sie entweder keine gute Kinderstube genossen haben oder diese lediglich bewusst in solchen Situationen ignorieren, bzw. vergessen.

Ich habe diese Buchempfehlung auch in der vagen Hoffnung geschrieben, dass es manchem Kunden die Augen öffnen möge. Für jeden Menschen, der sich nach dem Lesen dieses Buches in Zukunft besser gegenüber Kassierern verhält, sollte man der Autorin eigentlich einen inoffiziellen Verdienstorden verleihen. Wenn Sie dieses Buch wider Erwarten jedoch nicht nachdenklich stimmen sollte, dann ist ihnen als Kunde wohl einfach nicht mehr zu helfen und sie gehören zu den Menschen, über die ich mich (als Kunde) ärgere oder sie innerlich auslache.

Unser herzliches Beileid sollte allen Kassiererinnen dieser Welt gelten. Wer nach dem Lesen dieses Buches noch Interesse daran hat, sich als Kassierer in einem Supermarkt zu bewerben, der muss wahrscheinlich Nerven wie Drahtseile haben.

Auch der Kassierer vom Supermarkt um die Ecke braucht hin und wieder seine wohlverdiente Anerkennung. Möchten Sie in Zukunft einmal den Kassierern ihren Dank ausprechen oder ihrer Anerkennung für deren geleistete Arbeit Ausdruck verleihen? Manchmal reicht es schon aus, wenn man die allgemeinen und eigentlich auch selbstverständlichen Höflichkeitsregeln befolgt. Viel zu wenige Kunden benutzen bei dem Dialog mit einem Kassierer komplett die Worte, bzw. Sätze wie: "Guten Tag!", "Danke!", "Bitte!" oder "Auf Wiedersehen. Ich wünsche ihnen einen schönen Tag!". Ich hingegen lege als Kunde in einem Geschäft immer großen Wert darauf, dass ich eben dieses nicht vermissen lasse. Aber auch etwas mehr Geduld und Verständnis seitens der Kunden versüßen dem Kassierer leicht dessen Arbeitsalltag.

So ziemlich jede Kassierkraft hat übrigens ein eigenes Namensschild. Versuchen Sie doch einfach mal, sie mit ihrem Familiennamen anzusprechen. Ein "Guten Tag, Frau Müller!" oder "Auf Wiedersehen, Herr Schmidt!" kann alleine schon Wunder bewirken. Als ich mal als Call-Center-Agent gearbeitet habe, hat man das Thema "die Kunden mit ihrem Namen ansprechen" sogar im Hinblick auf dessen besondere Wirkung beim Gegenüber gesondert thematisiert.

Fazit: Weniger meckern und ungeduldig sein, mehr Freundlichkeit an den Tag legen und hier und da mal Interesse oder Dankbarkeit bekunden, dann klappt es auch mit dem Kassierer wieder!

Ich könnte mir auch sehr gut vorstellen, dass es vielleicht die eine oder andere Kassierkraft gibt, die sich gleich einen kleinen Vorrat dieses Buches zulegt und es ihren unangenehmsten Kunden mit einem Lächeln auf den Lippen schenkt. (Die Investition wäre es mir damals sehr wohl wert gewesen.)

P.S.: Wie würden Sie eigentlich als Kassierer mit Kunden umgehen, die sie gar nicht wahrnehmen, ignorieren oder sogar durch sie durchblicken?

Hinweis

Rechtschreibung und Grammatik wie immer ohne Gewähr! ;)

"Wenn zwei Menschen immer der gleichen Meinung sind, dann ist einer von ihnen überflüssig." Winston Churchill