Autor Thema: Dave J. Pelzer – Sie nannten mich es (Der Mut eines Kindes zu überleben)  (Gelesen 5795 mal)

Helluo Librorum

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Helluo Librorum präsentiert aus der Reihe "Bücher, die man gelesen haben muss":

Dave J. Pelzer – Sie nannten mich es (Der Mut eines Kindes zu überleben)


Genre: Erfahrungen / Schicksal
Seiten: 160
Verlag: Goldmann Verlag
ISBN-10: 3442150558
ISBN-13: 978-3442150557

Link zur Leseprobe:

http://www.amazon.de/Sie-nannten-mich-Es-%C3%BCberleben/dp/3442150558/ref=sr_1_1?s=books&ie=UTF8&qid=1381824673&sr=1-1&keywords=sie+nannten+mich+es#reader_3442150558

„Du hast mein Leben zur Hölle gemacht. Jetzt ist es an der Zeit, dass ich dir zeige, wie die Hölle ist!“ (Klappentext)

Im vollen Widerspruch zu dem später Geschehenem steht folgende Aussage von Dave an die Erinnerung an seine Mutter während eines Urlaubs: „Ich habe mich nie wieder so sicher und so geborgen gefühlt wie in diesem Augenblick am Russian River.“

Dieses Buch ist wahrlich kein „normales“ Buch. Es beschreibt eine reale Geschichte: die grausamen Taten, die einem kleinen Jungen namens Dave angetan wurden.

Wenn ein Kind in seinem eigenem Zuhause die Hölle auf Erden erlebt…

Fast neun Jahre lang, im Alter von 4-12 Jahren, wurde Dave von seiner Mutter gequält und gefoltert. Während Catherine anfangs ihren Sohn „nur“ verbal angriff, schreckte sie schon bald auch vor körperlicher Gewalt nicht mehr zurück. Zu ihren harmloseren „Spielchen“ gehörte beispielsweise, dass sie Dave befahl, etwas zu suchen, ohne ihm jedoch zu sagen, was genau er denn suchen soll. Auch auf seine Nachfrage hin bekam er darauf keinerlei Antwort, sondern nur Schläge. Mit der Zeit wurde Catherine immer gefühlskälter, hasste ihren Sohn von Tag zu Tag mehr. Eines Tages kam es dann sogar so weit, dass Dave seinen Namen verlor. Er dürfte nach dem Willen seiner Mutter nur noch „Es“ genannt werden.

Dave war seiner Mutter hilflos ausgeliefert. Er konnte leider weder von seinen Geschwistern, die eher froh darüber waren, dass es ihn und nicht sie traf, noch von seinem Vater Hilfe erwarten. Dieser sah dem Treiben seiner Frau tatenlos zu, zeigte sich teilweise sogar regelrecht unbeteiligt. Dave verlor immer mehr den Respekt vor dem „Helden“, wie er seinen Vater ob seines Berufes, er war Feuerwehrmann, eigentlich immer stolz genannt hatte. Die „Erziehungsmethoden“ von Catherine wurden im Laufe der Zeit immer perfider und man kann es leider nicht anders nennen: Es artete immer mehr zu Folter aus.

Es ist wahrlich nicht übertrieben zu sagen, dass Dave damals verzweifelt um sein Überleben gekämpft hat. Doch auch in diesen schweren Zeiten ging Dave die Liebe gegenüber seiner Mutter nicht verloren, egal, was sie ihm auch antat. Er hoffte immer darauf, dass sie eines Tages einsehen würde, dass sie einen Fehler gemacht hatte, ihre Taten bereuen würde und die beiden wieder eine ganz normale Mutter-Kind-Beziehung führen könnten. Doch dazu sollte es leider nie kommen.

Irgendwann hielt es der Vater in diesem Umfeld dann doch nicht mehr aus. Er packte seine Sachen und verließ mit einem einfachen, an seinen Sohn gerichtetem „Es tut mir leid!“ das Haus.

Erst nach schier endlosen Jahren der Pein fand Dave dann doch noch die lang ersehnte Rettung im Kreise seiner Schule. Aber welche Personen es dann genau waren, die Dave von seinem Leid erlösten, möchte ich an dieser Stelle nicht verraten.

Er wurde der Obhut seiner Mutter entrissen und kam in ein Heim. Später gelang es der Heimleitung sogar, ihn in eine Pflegefamilie zu vermitteln.

Wer nach der Lektüre dieses Buches unbedingt wissen möchte, wie es im Leben von Dave J. Pelzer weitergegangen ist, dem seien an dieser Stelle die beiden an dieses Buch anschließenden Titeln empfohlen. „Der verlorene Sohn: der Kampf eines Kindes um Liebe und Anerkennung“ und „Ein Mann namens Dave: Eine Geschichte von Triumph und Vergebung“.

Erst viel später nach diesen Geschehnissen, Dave war mittlerweile Erwachsen, nahm er all seinen Mut zusammen, um über die Geschehnisse in seiner Kindheit zu berichten. Wie furchtbar musste diese Erfahrung sein, all dies gedanklich noch einmal durchleben zu müssen? Man kann und mag es sich eigentlich kaum vorstellen.

Um ehrlich zu sein wollte ich in dieser Buchempfehlung gar nicht näher auf das eingehen, was dieser bemitleidenswerte kleine Junge alles hat erleiden müssen. Dafür sind schlicht und ergreifend einfach viel zu viele abscheuliche Taten dabei, die einen regelrecht erschaudern lassen. Es würde einem sogar sehr schwer fallen, sich für die Tat zu entscheiden, die man als die schlimmste erachtet. Da gäbe es nach meinem persönlichen Empfinden gleich mehrere „Top-Favoriten“, die sich zu Recht um diesen Titel streiten würden. Wie kann ein Mensch so etwas furchtbares bloß seinem eigenen Kind antun?

Das komische an diesem Fall ist in meinen Augen, dass die Mutter sich von heute auf morgen total verändert hat, ohne dass es dafür einen erkennbaren Grund, einen konkreten Auslöser gegeben zu haben scheint. Sicherlich hat ihr beginnender Alkoholismus auch eine gewichtige Rolle gespielt, aber das alleine will mir dann doch nicht so recht als Antwort auf alles gereichen. Dave beschreibt seine Mutter anfänglich als sehr liebevoll, sowohl ihrem Mann als auch ihren Kindern, ihn eingeschlossen, gegenüber. Daher ist es umso erschreckender, was aus dieser Frau geworden ist und warum ausgerechnet Dave das Objekt ihres Hasses und das Opfer ihrer Grauentaten geworden ist.

Erschreckend finde ich es auch immer wieder aufs Neue, wenn der Ehepartner um die schrecklichen Taten weiß und entweder nichts dagegen tut oder manchmal sogar eine tatkräftige Hilfe dabei ist, wie es in den letzten Jahren manches Mal der Fall war, wenn schlimme Verbrechen an Kindern bekannt geworden sind. Die Ironie an der Rolle von Daves Vater ist in meinen Augen, dass er als Feuerwehrmann auf der einen Seite, wie bereits weiter oben erwähnt, in den Augen seines Sohnes ein Held war und regelmäßig Menschenleben rettete, aber auf der anderen Seite nicht den Mut und die Kraft aufbringen konnte, sein eigenes Kind zu retten.

Ich habe beim Lesen neben dem Vater vor allem die Lehrer von Dave als sehr kritisch betrachtet. Wie kann es denn ernsthaft passieren, dass seine Lehrer lange Zeit entweder gar nichts bemerkt haben oder dass sie zumindest nicht eingeschritten sind? Da Daves Mutter ihrem Sohn sogar das Essen verbot, kam er stark abgemagert in die Schule, stahl seinen Mitschülern das Pausenbrot und er trug zudem auch immer wieder die gleiche Kleidung auf. Es kam sogar so weit, dass er von seinen Mitschülern nicht nur von Hohn und Spott überzogen wurde, sondern dass niemand von ihnen bereit war, sich freiwillig neben ihn zu setzen.

Leider scheint es in der heutigen Gesellschaft wirklich schon „normal“ geworden zu sein, dass man so etwas entweder nicht bemerkt oder es zumindest geflissentlich ignoriert. Getreu dem Motto: Was kümmert mich das Leid anderer Menschen, mein Leben ist doch schon sch**** genug. Es ist traurig, aber leider wahr. Immer weniger Menschen beweisen in solchen Momenten Zivilcourage. Wenn alle Menschen mehr auf das achten würden, was in ihrem unmittelbaren Umfeld passiert, dann würde so vieles besser laufen im Leben. Vielleicht ist ja auch das ein Grund dafür, dass mir Orte, die so klein sind, dass jeder jeden kennt, prinzipiell wesentlich sympathischer sind als größere, „anonyme“ Städte, zu denen ja auch Hannover zählt.

Natürlich stellt sich einem diesbezüglich auch die Frage, wann denn der Punkt gekommen ist, an dem man reagieren muss und bis zu welchem Zeitpunkt es eventuell verfrüht wäre, einzuschreiten. Das ist zugegebenermaßen ein schwieriges Thema, denn man sollte sicherlich nicht gleich das Jugendamt einschalten, „nur“ weil ein Kind ab und an mal eine Ohrfeige bekommt, manchmal zwei oder drei Tage in Folge das gleiche Kleidungsstück trägt oder weil es mal vorkommt, dass das Kind hungrig, ungepflegt oder unausgeschlafen in die Schule geht. Hier sind wohl Häufigkeit und Regelmäßigkeit die entscheidenden Kriterien.

Es ist in meinen Augen mehr als „nur“ bemerkenswert, dass dieses Kind die physische wie psychische Kraft hatte, trotz allem, was ihm in dieser Zeit widerfahren ist, nicht aufzugeben. Vor allem ist es aber auch erstaunlich, dass aus diesem in jederlei Hinsicht geschädigten Jungen später doch noch ein Mensch werden konnte, der an dem Geschehenem nicht zerbrochen ist und der den Umständen entsprechend ein normales Leben führen konnte. Wahrscheinlich wäre es den meisten Menschen an seiner Stelle anders ergangen und sie wären nie wieder fähig, ein Leben der Normalität zu führen. So schlimm es auch klingen mag, aber es grenzt doch fast schon an ein Wunder, dass Dave all dies überhaupt überleben konnte.

Man will es beim Lesen gar nicht so recht begreifen, dass all dies dem Autor in der Realität während seiner Kindheit wirklich widerfahren ist. Wie Dave in seinem Buch beschreibt, lernte er mit der Zeit gezwungenermaßen immer mehr, selbständig zu überleben. Er berichtet in seinem Buch erstaunlich offen und nüchtern von all den Geschehnissen. Man gewinnt beim Lesen auch nie den Eindruck, dass er etwas verschwiegen, hinzugefügt, geschönt oder übertrieben wurde. Das Buch ist auch nicht als Anklageschrift verfasst worden, auch wenn der Autor meiner Meinung nach jedes erdenkliche Recht dazu gehabt hätte.

Nicht wenige Menschen werfen Menschen wie Dave Pelzer vor, dass er das erlittene Leid nur dazu nutzen will, um das große Geld zu machen und / oder im Rampenlicht zu stehen. Was man zuletzt ja vor allem auch im Fall „Natascha Kampusch“ gesehen hat. Meine persönliche Meinung dazu ist, dass man es wahrlich niemandem verübeln kann, dem so etwas schier Unfassbares widerfahren ist, wenn er wenigstens das einzig Positive aus dieser Geschichte versucht mitzunehmen. Man könnte es auch sehr gut als Schmerzensgeld bezeichnen. Weitere verständliche Motive könnten beispielsweise auch sein, dass man einerseits anderen Menschen, die so etwas erlebt haben, damit helfen möchte und dass man andererseits seinen Teil dazu beiträgt, die Gesellschaft unermüdlich auf solche Missstände hinzuweisen. Ich bewundere Menschen wie Dave Pelzer oder Natascha Kampusch, dass sie den Mut aufbringen, sich all diesen schlimmen Erfahrungen gedanklich noch einmal auszusetzen, nur um sie mit der Öffentlichkeit zu teilen.

Ich betone ja bei den meisten meiner bisherigen Buchempfehlungen gerne, dass das Buch derart gut und / oder spannend geschrieben ist, dass man es eigentlich kaum aus der Hand legen kann. Doch auch wenn es einem bei diesem Buch ebenso gehen sollte, wäre es in diesem Fall wahrscheinlich ratsamer, wenn man sich dazu zwingt, zwischendurch auch einmal Pausen einzulegen, um sich wieder etwas zu beruhigen. Vielleicht sollte man für den Fall der Fälle sogar am besten gleich einen Arzt auf dem Sofa neben sich sitzen haben.

Man muss sich vor dem Lesen dieses Buches wirklich darüber im Klaren sein, was hier auf einen zukommt. Denn die Bücher, die man in seinem Leben bereits gelesen hat und die eine ähnlich schlimme Leseerfahrung darstellen, kann man, wenn denn überhaupt, sicherlich an ein oder zwei Händen abzählen. Für zart besaitete Gemüter ist dieses Buch definitiv alles andere als eine besonders sinnvolle Buchempfehlung, da die Lektüre diese Menschen viel zu sehr emotional belasten dürfte. Aber das muss, wie immer im Leben, jeder für sich selbst entscheiden.

Prinzipiell finde ich es eigentlich auch immer sehr schade, wenn ein Buch recht kurz ausgefallen ist. Aber in diesem Fall ist es wohl wirklich besser so, denn es stellt sich zwangsläufig die Frage, ob man noch mehr davon ertragen könnte, was dieses arme Kind alles hat erleiden müssen. Es wird sicherlich nicht wenige Menschen geben, denen es erst gar nicht gelingen wird, dieses doch recht überschaubare Buch ob seiner grausamen Schilderungen überhaupt zu Ende zu lesen. Denn die Taten sind derart bildhaft beschrieben, dass es einen regelrecht am gesamten Körper erzittern lässt. Alleine bei der Erinnerung an manche der Situationen bekomme ich schon wieder eine Gänsehaut. Manchmal läuft man sogar Gefahr, dass einen die Übelkeit derart übermannen könnte, das man sich nur noch übergeben kann. Ich denke, dass die Wahrscheinlichkeit sehr groß ist, dass einigen Menschen beim Lesen dieses Buches die Tränen in die Augen steigen. Vor allem liebende Mütter dürften sich emotional besonders ergriffen zeigen. Dieses Buch berührt einen wie kein zweites mitten im Herzen.

Man fühlt beim Lesen nicht nur unweigerlich mit Dave mit, sondern man leidet regelrecht mit ihm. Vor allem aber liest man sich ob der grausamen Taten seiner Mutter immer mehr in Rage. Stünde diese Person jetzt vor einem, entschuldigt bitte diese Worte, man würde ihr wahrscheinlich die Sch**** aus dem Hirn prügeln wollen. Solche Menschen hätten es meiner Meinung nach nicht anders verdient, als in ein Gefängnis zu kommen, wo nur Mütter einsitzen, die ihre Kinder von ganzem Herzen lieben und sogar für sie sterben würden. Dann bekommt jede von ihnen eine komplette Kopie der Polizeiakte und die Frauen dürfen mit ihr machen, was sie wollen, ohne dass die Justizvollzugsbeamten einschreiten. Aber bitte nicht (!!!) töten, denn der Tod wäre eine viel zu gnädige Strafe für solch ein Monster.

Wenn man von solchen oder ähnlich schockierenden Fällen wie diesem liest, kann man sich doch eigentlich nur noch glücklich schätzen, wenn man „normale“ Eltern hat/te, auch wenn diese manchmal nerven, es hin und wieder zu Streitereien kommt oder man sie langweilig oder gar spießig findet.

 „Sie nannten mich es – Der Mut eines Kindes zu überleben“ zählt für mich mit großem Abstand zu den erschütterndsten und schockierendsten Erfahrungsberichten, die ich in meinem bisherigen Leben gelesen habe. Bei der letzten Seite angekommen ist man wider besseren Wissens verzweifelter Hoffnung, dass sich am Ende des Buches doch noch der erlösende Satz findet: „Diese Geschichte ist reine Fiktion!“. Stattdessen wird es viele Leser auch nach der letzten Seite noch einige Zeit lang beschäftigen.

Zum Schluss dieser Buchempfehlung hin sollte man sich ruhig einmal vor Augen führen, dass so etwas immer und überall passieren kann. Möglicherweise gibt es auch in unserem unmittelbaren Umfeld ein Kind, das ähnliches Leid erfährt. Von daher sei jedem empfohlen, den so etwas nicht (unverständlicherweise) völlig kalt lässt, fortan seine Augen offen zu halten und etwas mehr auf seine Mitmenschen zu achten. Auch auf jene, die man nur wenig bis gar nicht kennt.

Hinweis

Rechtschreibung und Grammatik wie immer ohne Gewähr.
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« Letzte Änderung: 28. Okt. 2013, 13:12:06 von Helluo Librorum »
"Wenn zwei Menschen immer der gleichen Meinung sind, dann ist einer von ihnen überflüssig." Winston Churchill